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Mittwoch, 28. Dezember 2011

Thailand 2011 - Die grosse Flut


                            Bangkok unter Wasser - Victory Monument 1942

Die Regenzeit im Jahre 2011 hat es besonders in der "Reisschüssel", eine riesige und ausgedehnte Ebene in Zentral-Thailand nördlich von Bangkok, gelinde gesagt, etwas übertrieben.  Dieser fruchtbare Landstrich entlang des majestätischen Chao Phraya Flusses wird seit Jahrhunderten, vielleicht sogar seit Jahrtausenden, für den Reisanbau mit mehreren Ernten pro Jahr genutzt. Unzählige Zuflüsse aus Nord-Westlicher und Nord-Östlicher Richtung liefern auch im entfernter gelegenen Umland das kostbare Nass für die Reisfelder in diesem weiträumigen Flachland.

Überschwemmungen in dieser Ebene sind während des Monsuns (etwa Juli bis Oktober) seit Menschengedenken die Regel. Eine Regel, auf die sich die Menschen eingestellt hatten. Der Chao Phraya und seine Nebenflüsse traten, und tun es heute noch, fast jährlich über die Ufer. Man überliess die Wohnstätten in Flussnähe und die vor der sengenden Sonne schützenden strohbedeckten Bambushütten in den Feldern dem Wasser und zog ins etwas weiter entfernte eigene Heim oder das von Verwandten. Heime, die traditionell auf zwei bis vier Meter hohen Stelzen gebaut waren. Man parkte sein Boot vor der Haustüre, oder wenn es ganz schlimm kam, vor den Fenstern oder der Veranda im ersten Stock. Nach dem Ende der Regenzeit reparierte bzw. baute man die Hütten am Fluss und in den Feldern wieder auf oder putzte die untere Etage der Häuser auf Stelzen und gut war's.

Auch Bangkok blieb während der Regenzeit nie verschont. Diese Stadt steht dem natürlichen Abfluss des Wassers aus dem Norden und der Zentralebene in den Golf von Siam sozusagen im Wege. Zu Zeiten, als der Verkehr in der Stadt noch ausschliesslich auf den Khlongs (Kanälen) stattfand und es so gut wie keine Strassen gab, bedurften Überschwemmungen kaum einer Umstellung und waren so gut wie kein Problem. Im Gegenteil. Es gab dann während der Regenzeit nicht das übliche Verkehrschaos auf den engen Khlongs, da sich die Fläche für den Bootsverkehr durch das sich während der Regenzeit ausbreitende Wasser immens vergrösserte.

Störend wurde der Monsun in Bangkok erst zu Rama V Zeiten. Während seiner Regentschaft von 1868 bis 1910 modernisierte er Bangkok im europäischen Stil der damaligen Zeit. Er liess Strassen bauen und Strassen- und Eisenbahnen übernahmen neben den Booten auf den Khlongs Teile des öffentlichen Verkehrs. Die ersten Autos tuckerten über die damals noch meist sandigen Pisten und hupten die Pferdekutschen in Grund und Boden, damit sie Platz machten. Während der Regenzeit brach dieser öffentliche Verkehr regelmässig zusammen. Aber das normale Leben ging weiter. Man bewegte sich dann in der Stadt halt wieder ausschliesslich auf Booten weiter.

Als Bangkok in die Breite ging, weit über die einst ummauerte Altstadt hinaus und nach dem zweiten Weltkrieg, besonders Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die zweite einschneidende Modernisierungsphase dieser Metropole eingeläutet wurde, wurde die Regenzeit zu einem echten Problem in der Stadt. Die Strassen waren mittlerweile nach europäischem Standard befestigt. Die meisten Khlongs bis auf wenige Ausnahmen zugeschüttet. Knietiefes bis hüfthohes Hochwasser in den Strassen legte dann die gesamte Stadt lahm. Die Boote auf den wenigen übrig gebliebenen Khlongs konnten das Verkehrsdefizit nicht mehr ausgleichen. Ebenso konnten die wenigen Khlongs die Stadt nicht mehr so schnell "entwässern" wie früher. Eine Lösung musste gefunden werden.

Die Devise hiess: einigeln. Die immer noch unzähligen Khlongs um die Stadt herum wurden mit einem ausgeklügelten System von Schleusentoren versehen, deren Mechanik dafür sorgte, dass das Hochwasser um die Stadt herum geleitet und möglichst gleich in den Chao Phraya Fluss abgeleitet wurde, ehe es zum Problem für den Stadtkern wurde. Das funktionierte bis auf Ausnahmejahre, wie z.B. 1942 (siehe Bild oben), recht gut. Nicht zuletzt auch, weil die Zentralebene als natürliches Auffangbecken in der Lage war, grosse Wassermassen aufzunehmen. Die Stadt Bangkok litt auch in den Jahren danach sporadisch unter Hochwasser. Im Jahre 1986 z.B. fuhren auf der berühmten Sukhumvit Road die Boote.

Aber 2011 darf als Ausnahmejahr betrachtet werden. Was war geschehen? Führten die Auswirkungen des Klimawandels zu dieser Katastrophe? Ist die stetig fortschreitende Abholzung der Urwälder in Thailand schuld? Ein uneingeschränktes "Ja" auf diese Fragen wäre zu einfach, viel zu bequem und widerspricht der Geisteshaltung eines gebildeten und informierten Menschen. Besonders der Menschen, die gerne hinterfragen und die bei solch schnell gegebenen Antworten sofort zweifelnd hellhörig werden. Wie immer ist die Antwort für die Gründe dieses Hochwassers in Thailand und besonders die Situation in Bangkok im Jahre 2011 vielschichtig. Im folgenden ein Versuch, etwas mehr Licht auf dieses Naturereignis zu werfen.

1. La Nina. Es ist eine alte Binsenweisheit, dass die Auswirkungen des La Ninas auf Thailand während der Regenzeit schon immer spürbar waren. Die Regenzeit ist immer   dann sehr ausgedehnt und besonders ergiebig. Historisch gesehen kam es während der La Ninas schon immer zu Überschwemmungen in Thailand. Überschwemmungen die Bangkok betrafen oder zumindest gefährdeten. Gerade im Jahre 2011 herrschten La Nina Bedingungen. Falls Bedingungen für das Gegenstück La Ninas herrschen (El Nino), ist es in Thailand knochentrocken.

2. Die Reisschüssel...hat als Auffangbecken weitestgehend ausgedient. Auto- und High Tech Industrie haben inmitten dieses Beckens ihre riesigen Fertigungsstätten errichtet, Lebensmittel- und Getränkeindustrie ihre Lager und Verpackungsstätten. Unzählige und ausgedehnte Wohnsiedlungen mit Einfamilienhäusern befinden sich in deren Umgebung. Das Land war billig und lockte die Investoren.

3. Die Stauseen...waren zu Beginn der Regenzeit randvoll. Ein Unding, besonders zu La Nina Zeiten. Sie fielen damit als Auffangbecken für die Nebenflüsse des Chao Phrayas aus. Schlimmer noch - sie mussten während der Regenzeit zusätzliches Wasser ablassen um die Dämme nicht zu gefährden.

4. Drei aufeinanderfolgende Unwetter. Während es zu normalen Monsun-Zeiten meist nur einmal während einiger Tage zu übermässig lang anhaltenden Wolkenbrüchen und Regenstürmen kommt, waren es im Jahre 2011 gleich drei und zwar unmittelbar aufeinander folgend. Selbst eine unversehrte "Reisschüssel" hätte kaum eine Chance gehabt, das Wasser zu absorbieren. Die Nebenflüsse des Chao Phrayas sorgten ständig für Nachschub, der nicht schnell genug in den Golf von Siam transportiert werden konnte.

5. Die Bastion Bangkok...hat besonders gut funktioniert. Das meiste Wasser wurde im Norden von Bangkok gestaut und westlich und östlich um die Stadt herum geleitet. Das aber mit verheerenden Folgen für diese Gebiete, die mittlerweile recht dicht besiedelt sind. Die künstliche Bastion Bangkok führte zu einem ungewöhnlichen Anschwellen des Wasserpegels nördlich von Bangkok und dauerte zudem unnötig lange, weil die Schleusentore in den Khlongs dort wegen mangelnder Wartung nicht richtig funktionierten. Zudem waren die Khlongs zugemüllt, zum Teil mit Wasserhyazinthen überwachsen und durch illegale Bautätigkeiten eingeengt. Die Khlongs im Norden von Bangkok waren nicht in der Lage, das Wasser schnell genug in den Chao Phraya Fluss abzuführen. Bangkok blieb verschont...bis den Einheimischen im Norden der Geduldsfaden riss. Sie zerstörten Sandsackbarrieren, die die Innenstadt bisher schützten, und der nördliche Bezirk der Stadt - Don Mueang - in dem sich der alte internationale Flughafen befindet, wurde über einen Meter hoch überflutet. Das Wasser erreichte den Chatuchak Bezirk, aber bereits auf Höhe des berühmten Chatuchak Marktes sank der Pegel auf wenige Zentimeter. Das Victory Monument ein paar Kilometer weiter südlich blieb verschont, genauso wie die Innenstadt. Mit Ausnahme der Altstadt in Nähe Fluss, wo fast jedes Jahr das Wasser mindestens Knöcheltief steht, blieb Bangkok City trocken.

Soweit meine sicher unvollständige Aufzählung der verschiedenen Gründe für das lang anhaltende Hochwasser im Jahre 2011. Klimawandel und Abholzung haben sicherlich ihren Teil beigetragen, wären aber sicherlich mit intelligenter Planung abzufedern, wenn nicht sogar in ihrer Rolle vernachlässigbar gewesen. Die Zukunft verspricht nichts Gutes in diesem Zusammenhang, denn der Tag wird kommen, in nicht allzu ferner Zukunft, wo die Antwort auf die Fragen: "Führten die Auswirkungen des Klimawandels zu dieser Katastrophe? Ist die stetig fortschreitende Abholzung der Urwälder in Thailand schuld?" ein eindeutiges "Ja" sein werden.

Das Leid der betroffenen Menschen war gross. Abgesehen von denen, die ihr Leben lassen mussten, verloren unzählige ihr Hab und Gut und ihre Existenz. Im Gegensatz zu denen, die es sich leisten konnten, nötige Vorbereitungen zu treffen, die Sachen zu packen und für ein paar Wochen eine Wohnung in einem unbetroffenen Gebiet zu mieten. Besonders beliebt waren Chonburi, Pattaya und - ganz mondän - Hu Hin im Süden.

So auch im Falle meiner Sponsoren-Familie in Don Mueang. Lange dachte sie, dass das Wasser nie und nimmer Don Mueang gefährden könne. Don Mueang lässt sich mit "erhöhter Ort" oder "Ort auf einem Hügel" übersetzen. Mit ein Grund, warum damals hier der Internationale Flughafen gebaut wurde. Nämlich um einigermassen sicher vor Überschwemmungen zu sein.

Nachdem das Gerede der Politiker und Katastrophen-Manager immer katastrophal verblödeter und unprofessioneller wurde, schaffte sie alles, was Schaden nehmen konnte mit Hilfe der Nachbarn in den 1. Stock, beauftragte einen "Aufseher", zog mit dem Nötigen in eine komfortable Wohnung in Pattaya und sass das Hochwasser aus. Helmut Kohl hätte es nicht besser machen können. Das Erdgeschoss stand fast einen Meter unter Wasser. Ein Segen, dass hier meist ohne Keller gebaut wird, denn ein vollgelaufener Keller kann ein ganzes Haus zerstören, besonders wenn der Öltank aufschwimmt, die Rohre brechen und der Keller voller Diesel ist. Dann hilft nur noch abreissen.

Das Hochwasser in Don Mang hielt sich einige Wochen. Nachdem es Anfang Dezember vollständig abgelaufen war, stellte sich heraus, dass nichts im Haus fehlte und lediglich das Erdgeschoss versaut und der Garten hin war.

Es gibt keine Beschwerden und kein Jammern. Der Schaden verblasst hinter dem Leid vieler anderer. Eine der eigenen gut situierten finanziellen Lage angepasste Geldspende in einen Hilfsfond für die Geschädigten war selbstverständlich...

Hier noch einige Bilder vom Garten. Wie er einmal aussah, wie er volllief und was davon übrig blieb, rein zu Dokumentationszwecken. Wie gesagt - nicht der Rede wert.


So sah es einmal aus vor Jahren. Leider habe ich kein aktuelles Bild von vor der Flut. Der Garten war inzwischen aufgeblüht, die Sträucher grösser. Ich habe diese Bilderserie gewählt, weil die Sitzecke einen hervorragenden Massstab dafür hergibt, wie hoch das Wasser stand.


Und dann kam das Wasser. Die Sitzecke ging baden, bekam aber noch Luft. Noch blühten die Sträucher und Blumen.



Und dann verschwand die Sitzecke vollständig.


Das Resultat. An der Mauer lässt sich gut erkennen, wie hoch das Wasser stand.


Im Gegensatz zu den Palmen und anderen Bäumen (nicht auf dem Bild) hat der Champaka Baum nicht überlebt. Er gehört zur Magnolia Familie. Seine Blüten sind wohlduftend und werden unter anderem zu Parfüm, Seife, Öl und Räucherstäbchen verarbeitet.

Der Baum ist nach hinduistischem Glauben Lord Vishnu, dem Erhalter, in seiner Inkarnation als Krishna geweiht. Wie es scheint, wusste auch er kein Mittel gegen die Flut...