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Sonntag, 24. April 2011

Leseprobe 2 - Short Times - Denn sie wissen nicht, was sie tun





GERHARD

Wien ist in Bezirke aufgeteilt. Ich stehe gerade am Rande des 1., am Franz-Josef-Kai direkt am Donaukanal mitten in der Stadt und warte auf meine private asiatische Eroberin. Sie hat sich heute etwas früher freigenommen, und wir wollen den herrlichen Sommertag genießen. Wien hat von ihr nichts zu befürchten. Von asiatischen Reiterhorden hat sie nie etwas gehört. Aber für einzelne Rumtreiber ist Vorsicht angesagt.
Die Bezeichnung „Kai“ ist ein Hinweis darauf, daß das ungezähmte Flußbett der Donau früher mit seinem weitverzweigten System bis hierher reichte und Schiffsgüter be- und entladen wurden. Heute gibt es nur noch diesen schmalen Kanal, auf dem Touristenschiffe zu einer Rundfahrt einladen. Die gebändigte Donau selbst liegt etwa drei Kilometer von hier entfernt und markiert dort die Grenze zwischen dem 2. und 22. Bezirk. Der 2. Bezirk wurde mitten auf dem trockengelegten Donausystem errichtet. Hier mußten die Angreifer aus dem Osten hindurch. Hier lagerten sie auf den großen Flächen zwischen den Donauarmen, zogen um die Stadt Wien herum und und rannten mit geballter Kraft gegen die Burg- und Löwelbastei an.
Ich bin immer noch in historische Betrachtungen versunken und suche nach einem versteckten taktischen Hinweis in der Geschichte Wiens, der mir meine eigene Verteidigung erleichtern könnte, als sich meine Partnerin aus Südostasien zu mir gesellte und ganzs friedlich lieb in perfekt Wienerisch gefärbtem Deutsch fragt: „Wos mochn mer jetza? Woast scho, wo mir hingehn wolln?“
Gut gefragt, Schatzi. Deine weit entfernten asiatischen Vorfahren waren nicht so höflich, sondern haben das Dorf Wien gleich mal eben platt gemacht, denke ich in meiner manchmal etwas zynischen Lieblingslaune.
Ich habe einmal gelesen, daß die Thais schrittweise über viele Jahrhunderte hinweg aus der südwestlichen Mongolei am Rande des Altai-Gebirges über die südchinesische Provinz Yunnan in ihr jetziges Land eingewandert waren. Weiß der Himmel, wenn das stimmt, könnten auch ein paar mongolische Blutstropfen in ihren Adern fließen. Bei den damals üblichen Völkerbewegungen über große Entfernungen hinweg vielleicht gar nicht so abwegig.
Wir befinden uns gleich unterhalb des ältesten Gotteshauses Wiens, der St.-Ruprechts-Kirche. Sie markiert einen Bereich, der sich durch viele Beisl auszeichnet. Es ist der in allen Touristenführern erwähnte Schwedenplatz. Dort hat man die Auswahl zwischen einer ganzen Reihe von Gaststätten, die sich in Atmosphäre, Musik und Speisekarte unterscheiden. Das Publikum ist überall gemischt. Jugend, Geschäftswelt und Rentnerband zelebrieren ihre Freizeit jeder auf seine Art und völlig ungezwungen, oft gemeinsam.
Der Schwedenplatz ist eine Insel in der Stadt. Eine Insel der Begegnungen. Am Abend kehrt die arbeitende Bevölkerung der immer gleichen Firma ein. Es ist die Tiefbau AG, und es wird auf Teufel komm raus gebaggert. Oft wird planlos aufgerissen, wie wir es von den Stadtwerken kennen, manchmal ganz gezielt. Und wer nicht gänzlich zu den beruflichen Versagern gehört, nimmt nach bezahlter Rechnung seine Baustelle mit nach Hause. Die Wiener haben in einem Anfall absoluter Kreativität einen eigenen Namen für dieses Viertel erfunden: das Bermuda-Dreieck.
Immer öfter habe ich das Gefühl, in einem ganz persönlichen Bermuda-Dreieck zu leben. Die Gefahr, darin für immer zu verschwinden, hat sich in den letzten Monaten dramatisch zugespitzt. Unser Treffpunkt hat geradezu symbolische Bedeutung.
Wo sollen wir hingehen? Wir entscheiden uns fürs Krah Krah gleich in der Nähe. Es ist ein recht warmer Spätsommertag, wir schlendern an den Tischen und Stühlen draußen vorbei und betreten das Lokal, weil es innen etwas kühler ist.
Ich öffne die etwas schwergehende Türe mit den drei Krähen auf der Glasscheibe, und wir nehmen an einem der noch freien Tische platz. Mein Schatzi bestellt einen Kaffee und bekommt eine Melange. Ich bestelle ein „Bier für Erwachsene“. Die Rachebezeichnung eines deutschen Kollegen wegen der Kaffeegeschichten. Das scheint nur etwas zu einleuchtend zu sein, denn nach kurzem Zögern und Kichern serviert mir die Bedienung ein Krügerl, einen halben Liter. Absolut korrekt!
Meine Begleitung meint grinsend: „Du und erwachsen, haha. Das ist ja wohl der größte Schmäh, den ich seit langem gehört habe.“
Sie heißt Dao, ist Ende 30, hat schulterlanges schwarzes Haar, dunkle Augen und einen wissenden, erwachsenen, manchmal etwas melancholischen Gesichtsausdruck. Dazu eine Figur, wie eine 18jährige, kein Gramm Fett zu viel, aber auch nicht dürre. Wenn sie lacht, sieht sie schlagartig 15 Jahre jünger aus, das junge Mädel kommt wieder zum Vorschein, und ich komme mir dann neben ihr wie ein „Dirty Old Man“ vor, allerdings wie ein verdammt vom Leben bevorzugter und seinem Schicksal mit Dank ergebener. Es sind die Momente, in denen ich mich immer wieder für die Dauer von mindestens fünf Minuten neu in sie verliebe.
Wenn sie so wie jetzt ihren Kaffee trinkt, raucht sie kaum, ist geistreich unterhaltsam, ein super Kumpel und ist mit einer unendlich verführerischen reifen erotischen Ausstrahlung gesegnet.
Hier im Krah Krah verzichten wir auf Berührungen. Wir wissen, warum. Könnte leicht zum Erregen öffentlichen Ärgernisses führen. Wir sind grenzenlos miteinander vertraut. Im Guten wie im Bösen. Und in der Lust erst...
Dao ist heute besonders lieb, charmant und unterhaltsam. Aber ich weiß, daß dies nur ein Aufschub ist. Der Abend und die Nacht sind noch lang. Die anfangs mystisch erscheinende Dao hat eine dämonische Ader. Eine Ader, die sie völlig unberechenbar und aus heiterem Himmel auslebt, und die auch mich zu verschlingen droht. Der Gedanke an Trennung kommt mir immer öfter in den Sinn. Andererseits bin ich ein bisserl stolz auf mich. Bisher hat sich meine langjährige Erfahrung mit den weiblichen Thai-Seelen noch bewährt, aber sie ist fast aufgezehrt. Zuweilen komme ich mir von Dao sogar benutzt vor, offensichtlich ohne eine wirkliche Änderung zu wollen, denn sonst wäre ich schon längst nicht mehr mit ihr zusammen, hätte ihre Trennungstränen als kurzzeitige Gefühlswallung oder gar als Berechnung abgetan und sie ohne schlechtes Gewissen ihrem Großstadt-Schicksal überlassen. Irgendwie würde sie sich schon wieder zurechtwurschteln. Aber dazu bin ich noch nicht bereit.
Wie konnte das nur passieren? Wieso sitze ich hier mit Dao im Krah Krah und genieße sogar diese Ruhe vor dem eventuellen Sturm ohne Angst vor der Zukunft, nur den Augenblick schätzend? Vermutlich, weil der Wetterbericht nie verläßlich ist, der angesagte Sturm einfach nicht kommt und eine Schönwetterfront sich völlig unerklärlich über eine Woche halten kann. Das Unwetter wird jedoch kommen, wie das Amen in der Kirche. Aber heute ist heute und jetzt ist jetzt. Und jetzt hat Dao ihre Schuhe ausgezogen, unter dem Tisch einen Fuß auf meinen Stuhl zwischen meine Beine gelegt und neckt mit ihren Zehen meine Juwelen...  

Leseprobe 1 - Short Times - Denn sie wissen nicht, was sie tun

Für meine Freunde in der Wiener Thaiszene. Gusto, Camelot und die berühmte 10. Stiege. Es war einmal...




Wiener Schmäh
Gerhard



Es hat lange gedauert, bis ich es mir eingestehen konnte und mich damit abgefunden habe: Ich bin ein Rumtreiber, der vor nichts Achtung hat, nie vor Ehrfurcht erstarrt ist und deswegen neben den üblichen Katastrophen auch die schönsten Dinge erlebt.
Nach nur wenigen Jahren bei meinem ersten Arbeitgeber, habe ich die Heimat verlassen, in aller Herren Länder gearbeitet und gelebt. Im Laufe der Jahre konnte ich meinen Lebensrhythmus nicht mehr verleugnen: Nach sieben Jahren kommt regelmäßig der große Knick. Motivation will sich dann nicht mehr einstellen. Der Blick über den Zaun zieht mich unabänderlich in neue Gefilde. Dann heißt es, die Sachen packen und den Standort wechseln. In einer globalen Firma ist das eh nicht unbedingt eine Unmöglichkeit.
Nach der Scheidung meiner Eltern wurden meine Schwester Maria und ich im Kindesalter voneinander getrennt, und wir verloren uns aus den Augen. Erst kürzlich erhielt ich eine E-Mail von Maria. Sie hatte mich nach langer Recherche und mehreren vergeblichen Versuchen über das soziale Netzwerk „Facebook“ ausfindig gemacht. Sie sei mit ihrem Ehemann nach Pattaya umgesiedelt. Trägt auch sie das Thailandvirus in sich?
Ich selbst bin zweimal geschieden, ohne zu verarmen, bin seit sieben Jahren mit einer Thai verheiratet und lebe schon ein Weilchen in Trennung. Thailand war in den letzten vierzehn Jahren mein einziges Urlaubsland. Geschäftsreisen führten mich als Ausgleich um die Welt. Zur Zeit bin ich ohne Arbeit, falle dem Staat aber nicht zur Last, da ich als Freischaffender werkel. Vor sieben Jahren trat ich meine letzte Tätigkeit an und beendete sie freiwillig vor ein paar Monaten. Ich befinde mich „between jobs“ wie die Engländer sagen – zwischen zwei Jobs. Kein Grund desperat zu sein.
Meine jetzige Basisstation liegt in der Hauptstadt des alten Habsburgs. Der Schauplatz ist Wien. Es könnte aber jede andere deutschsprachige Großstadt sein. Man braucht nur die Kulissen ein bisserl zu verschieben und die handelnden Personen beibehalten. Denn es bleiben zwei Konstante.
Unsere zugereisten Mandelaugen, die sich im Großstadt-Dschungel nach erfolgreich durchstandener Ehe wieder selbst behaupten dürfen und durchs Leben wurschteln, und die Langnasen, die solche Schicksale eh immer wieder, natürlich völlig uneigennützig, als hilfsbedürftig mißverstehen und den rettenden Ritter spielen. Koste es, was es wolle. Na Servus.
Mit Trennungsschmerzen habe ich mich nie lange aufgehalten. Bin zwar noch nicht geschieden, lebe aber schon seit einem Jahr wieder mit einer Thai zusammen. Vorher kannten wir uns schon seit vier Jahren vom Sehen. Haben nie ein Wort miteinander gewechselt. Sie war immer alleine und saß oft stumm an der Theke oder vor irgendeinem Spielautomaten, stundenlang, bis sie meist gegen Mitternacht alleine verschwand. Irgend etwas hatte mich bislang davon abgehalten, sie anzusprechen. Gelegenheiten gab es genug. Auch nach meinem erneuten Single-Leben habe ich mich ihr nie genähert, sondern sogar mit gewissem Abstand von ihren vermeintlichen Freundinnen um sie herum geschnaxelt. Aber es lag ständig eine rätselhafte Spannung zwischen uns beiden in der Luft, die mich für meine Abstinenz voll entschädigte und ein wohltuender Ausgleich für meine kurzzeitigen Begierden mit dem Rest der weiblichen Thai-Bevölkerung in dieser Großstadt darstellte. Nein, selbst ein Lächeln haben wir nie ausgetauscht. Wir waren an so manchen Abenden am gleichen Ort einfach nur „da“. Fast so, als ob wir unausgesprochen schon unendlich lange zusammengehörten. Ein unsichtbares Band schien unser beider Schicksale zu verknüpfen.
Inzwischen kenne ich ihre Eigenarten besser, als mir lieb ist. Es fällt mir zunehmend schwerer, ihren stürmischen Angriffen standzuhalten. Manchmal suche ich sogar Hilfe bei einem Freund.
Der letzte Ansturm auf Wien wurde am 12. September 1683 erfolgreich und ganz besonders durch die Unterstützung der Reiterschaften des polnischen Königs Sobieski von den Habsburgern abgewehrt. Die Osmanen flüchteten Hals über Kopf durch den damals noch nicht existierenden 2. Bezirk und wurden erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den Wirtschaftswunderjahren in ähnlich hoher Zahl wiedergesehen.
Wenn man einer historischen Anekdote Glauben schenkt, ließen die Osmanen nicht nur wertvollen Schmuck, Gewänder und Waffen zurück, sondern auch Säcke mit einem Inhalt, der heute manch ahnungslosem Touristen in Wien Kopfzerbrechen bereiten kann. Die Säcke waren mit sonderbaren grünen Bohnen gefüllt, einer völlig unbekannten Art. Dieser Inhalt legte den Grundstein für die heutige Wiener Kaffeehauskultur. Was könnte einem mehr Kopfzerbrechen bereiten? Tja, bestellen Sie mal als Tourist einen „Kaffee“ in Wien.
Einen großen Schwarzen, einen kleinen Braunen, eine Melange, einen Kapuziner oder Franziskaner vielleicht, oder etwa einen Verlängerten? Wie wär’s mit einem Einspänner? „Bist wohl sowieso zu bled, vernünftig einen Kaffee zu bestellen? Depperte Touristen, die depperten“, oder so ähnlich könnte es zurückschallen, wenn der Ober absolut schlecht drauf und raunzig wegen irgendwelchen unbefriedigenden Weibergeschichten ist.
Je nach Gemütslage geraten die an Nettigkeiten gewöhnten Touristen in Rage oder lassen sich aufklären. Wenn er mit dieser Unverschämtheit an eine Preußin gerät, die dazu noch vom stundenlangen Shopping gestreßt ist, darf er sich auf die passende Entgegnung gefaßt machen: „Verdammt noch mal! Ich will nur einen Kaffee. Ich schlepp doch nicht dauernd das Wiener Wörterbuch unterm Arm mit mir herum. Blödmann!“
Oder ein Tourist öffnet sich und will mal wieder was verstehen, bestellt nach der Belehrung stolz eine Melange (schwarzer Kaffee mit heißer Milch aufgeschäumt) und hört fassungslos dem Ober zu, wie er in Richtung Theke ruft: „Einen Kaffee für den Herrn, bitte!“ Short Times - amazon.de