Für meine Freunde in der Wiener Thaiszene. Gusto, Camelot und die berühmte 10. Stiege. Es war einmal...
Wiener Schmäh
Gerhard
Es hat lange gedauert, bis ich es mir eingestehen konnte und mich damit abgefunden habe: Ich bin ein Rumtreiber, der vor nichts Achtung hat, nie vor Ehrfurcht erstarrt ist und deswegen neben den üblichen Katastrophen auch die schönsten Dinge erlebt.
Nach nur wenigen Jahren bei meinem ersten Arbeitgeber, habe ich die Heimat verlassen, in aller Herren Länder gearbeitet und gelebt. Im Laufe der Jahre konnte ich meinen Lebensrhythmus nicht mehr verleugnen: Nach sieben Jahren kommt regelmäßig der große Knick. Motivation will sich dann nicht mehr einstellen. Der Blick über den Zaun zieht mich unabänderlich in neue Gefilde. Dann heißt es, die Sachen packen und den Standort wechseln. In einer globalen Firma ist das eh nicht unbedingt eine Unmöglichkeit.
Nach der Scheidung meiner Eltern wurden meine Schwester Maria und ich im Kindesalter voneinander getrennt, und wir verloren uns aus den Augen. Erst kürzlich erhielt ich eine E-Mail von Maria. Sie hatte mich nach langer Recherche und mehreren vergeblichen Versuchen über das soziale Netzwerk „Facebook“ ausfindig gemacht. Sie sei mit ihrem Ehemann nach Pattaya umgesiedelt. Trägt auch sie das Thailandvirus in sich?
Ich selbst bin zweimal geschieden, ohne zu verarmen, bin seit sieben Jahren mit einer Thai verheiratet und lebe schon ein Weilchen in Trennung. Thailand war in den letzten vierzehn Jahren mein einziges Urlaubsland. Geschäftsreisen führten mich als Ausgleich um die Welt. Zur Zeit bin ich ohne Arbeit, falle dem Staat aber nicht zur Last, da ich als Freischaffender werkel. Vor sieben Jahren trat ich meine letzte Tätigkeit an und beendete sie freiwillig vor ein paar Monaten. Ich befinde mich „between jobs“ wie die Engländer sagen – zwischen zwei Jobs. Kein Grund desperat zu sein.
Meine jetzige Basisstation liegt in der Hauptstadt des alten Habsburgs. Der Schauplatz ist Wien. Es könnte aber jede andere deutschsprachige Großstadt sein. Man braucht nur die Kulissen ein bisserl zu verschieben und die handelnden Personen beibehalten. Denn es bleiben zwei Konstante.
Unsere zugereisten Mandelaugen, die sich im Großstadt-Dschungel nach erfolgreich durchstandener Ehe wieder selbst behaupten dürfen und durchs Leben wurschteln, und die Langnasen, die solche Schicksale eh immer wieder, natürlich völlig uneigennützig, als hilfsbedürftig mißverstehen und den rettenden Ritter spielen. Koste es, was es wolle. Na Servus.
Mit Trennungsschmerzen habe ich mich nie lange aufgehalten. Bin zwar noch nicht geschieden, lebe aber schon seit einem Jahr wieder mit einer Thai zusammen. Vorher kannten wir uns schon seit vier Jahren vom Sehen. Haben nie ein Wort miteinander gewechselt. Sie war immer alleine und saß oft stumm an der Theke oder vor irgendeinem Spielautomaten, stundenlang, bis sie meist gegen Mitternacht alleine verschwand. Irgend etwas hatte mich bislang davon abgehalten, sie anzusprechen. Gelegenheiten gab es genug. Auch nach meinem erneuten Single-Leben habe ich mich ihr nie genähert, sondern sogar mit gewissem Abstand von ihren vermeintlichen Freundinnen um sie herum geschnaxelt. Aber es lag ständig eine rätselhafte Spannung zwischen uns beiden in der Luft, die mich für meine Abstinenz voll entschädigte und ein wohltuender Ausgleich für meine kurzzeitigen Begierden mit dem Rest der weiblichen Thai-Bevölkerung in dieser Großstadt darstellte. Nein, selbst ein Lächeln haben wir nie ausgetauscht. Wir waren an so manchen Abenden am gleichen Ort einfach nur „da“. Fast so, als ob wir unausgesprochen schon unendlich lange zusammengehörten. Ein unsichtbares Band schien unser beider Schicksale zu verknüpfen.
Inzwischen kenne ich ihre Eigenarten besser, als mir lieb ist. Es fällt mir zunehmend schwerer, ihren stürmischen Angriffen standzuhalten. Manchmal suche ich sogar Hilfe bei einem Freund.
Der letzte Ansturm auf Wien wurde am 12. September 1683 erfolgreich und ganz besonders durch die Unterstützung der Reiterschaften des polnischen Königs Sobieski von den Habsburgern abgewehrt. Die Osmanen flüchteten Hals über Kopf durch den damals noch nicht existierenden 2. Bezirk und wurden erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den Wirtschaftswunderjahren in ähnlich hoher Zahl wiedergesehen.
Wenn man einer historischen Anekdote Glauben schenkt, ließen die Osmanen nicht nur wertvollen Schmuck, Gewänder und Waffen zurück, sondern auch Säcke mit einem Inhalt, der heute manch ahnungslosem Touristen in Wien Kopfzerbrechen bereiten kann. Die Säcke waren mit sonderbaren grünen Bohnen gefüllt, einer völlig unbekannten Art. Dieser Inhalt legte den Grundstein für die heutige Wiener Kaffeehauskultur. Was könnte einem mehr Kopfzerbrechen bereiten? Tja, bestellen Sie mal als Tourist einen „Kaffee“ in Wien.
Einen großen Schwarzen, einen kleinen Braunen, eine Melange, einen Kapuziner oder Franziskaner vielleicht, oder etwa einen Verlängerten? Wie wär’s mit einem Einspänner? „Bist wohl sowieso zu bled, vernünftig einen Kaffee zu bestellen? Depperte Touristen, die depperten“, oder so ähnlich könnte es zurückschallen, wenn der Ober absolut schlecht drauf und raunzig wegen irgendwelchen unbefriedigenden Weibergeschichten ist.
Je nach Gemütslage geraten die an Nettigkeiten gewöhnten Touristen in Rage oder lassen sich aufklären. Wenn er mit dieser Unverschämtheit an eine Preußin gerät, die dazu noch vom stundenlangen Shopping gestreßt ist, darf er sich auf die passende Entgegnung gefaßt machen: „Verdammt noch mal! Ich will nur einen Kaffee. Ich schlepp doch nicht dauernd das Wiener Wörterbuch unterm Arm mit mir herum. Blödmann!“
Oder ein Tourist öffnet sich und will mal wieder was verstehen, bestellt nach der Belehrung stolz eine Melange (schwarzer Kaffee mit heißer Milch aufgeschäumt) und hört fassungslos dem Ober zu, wie er in Richtung Theke ruft: „Einen Kaffee für den Herrn, bitte!“ Short Times - amazon.de
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