An einem Sonntag Ende März...
Jetzt ist es 9 Uhr Abends. Das Thermometer draussen funkt 4 C auf meine Innenstation. Tagsüber war es auch nicht viel wärmer. Was voriges Jahr schon hellgrün leuchtete, versteckt sich immer noch in den braunen geschlossenen Knospen. Wenn das mal gut geht. Aber was interessiert mich das Wetter draussen? Hier drinnen in meiner anheimelnden Bude in der Schweizer Nordprovinz und mit meiner neuen Errungenschaft, der BOSCH TASSIMO Kaffee- Tee- und Kakao-Maschine ist das doch völlig egal.
Mein Magen grummelt. Habe heute alle möglichen Kaffee-, Tee- und Schoko-Sorten der Tassimokapseln durchprobiert und dabei ganz den Alkohol vergessen. Mein lieber Schwan. Diese Maschine kann in die Trockensucht führen. Wehret den Anfängen.
In einem Anflug von Vernunft erinnere ich mich an eine noch zu bewältigende Aufgabe. Am 31.3. ist letzter Abgabetermin für die Steuererklärung 2010. Bei meiner schlampigen Ordnung für die relevanten Papiere und Unterlagen brauche ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen, wohin ich die denn sortiert hatte. Nein. Ich begebe mich einfach auf eine unsystematische Suche. Die ist in solchen Fällen am erfolgsversprechenden. Wer unsystematisch ablegt, findet am Besten nach dem Zufallsprinzip. Ist doch klar.
Vorher aber noch iTunes auf meinem iMac angeworfen und meine Lieblings-Playlist angeklickt. Classic Rock. Die Dinger sind sowieso zeitlos. Die Jungen wollen mir doch tatsächlich weismachen, dass ich nicht mehr so viel Zeit wie früher hätte. Das sehe ich an ihrem unverschämten Grinsen. Zeit vergeht zwar mit fortschreitendem Alter schneller, aber meine Methode, mir dann einfach etwas mehr Zeit zu nehmen, hat bisher immer gut funktioniert.
Bei „Paranoid“ von Black Sabbath begebe ich mich auf die Suche. Nach einiger Zeit werde ich in einem Regal in einem Stapel Papier und Reklame fündig, den ich vor einer Woche im Ordnungswahn weggeräumt hatte, damit er nicht mehr als Blickfang wirkt. Diesen Stapel hatte ich in Reihenfolge der reinkommenden Post einfach aufgetürmt. Das war mir total entfallen, da ich das schon instinktiv ohne nachzudenken tue, nachdem ich die Schriftstücke überflogen habe. Ein zweiter Stapel auf dem Tisch nimmt schon Höhe an. Der wird ein andermal versteckt. Die Briefumschläge hatte ich entsorgt. Mittlerweile ist iTunes bei „Whiskey in a Jar“ von Thin Lizzy angekommen. Reflexartig schiele ich auf meine halbvolle Flasche Glenfiddich in der Getränkeecke, aber ich werfe meine BOSCH Tassimo zum zigsten Male heute an. Wer weiss schon, wann ich das jemals wieder tun werde. Neue Spielzeuge benutze ich anfangs immer im totalen Exzess. Das führt oft dazu, dass ich ihnen schon nach einem Tag für mindestens einen Monat überdrüssig werde.
Ich gehe den Stapel aus dem Regal Blatt für Blatt durch. Und wie kann es anders sein? Die Post meint es gut mit mir. Sie hatte in weiser Vorraussicht alles nötige umsonst geliefert. Den Lohnausweis und alle möglichen Beiblätter zum Lohnausweis wie da sind: Einzahlungen in die 3.Säule bei meiner Bank, Treuhänderauskunft über meine Einkünfte durch Firmenaktien, Stand der Kapitalversicherung und dergleichen.
Ich weiss es, mein System ist unschlagbar. Man braucht sich nur auf die Post zu verlassen. Insgeheim überlege ich mir, ob ich diese Stapel nicht mit einem Schild versehen soll: Post von - bis. Aber das wäre viel zu aufwendig. Ausserdem, wenn meine treue Putzfrau die Schilder wegräumen würde, weil sie dann auf dem Deckblatt bequemer staubwischen kann, fände ich gar nichts mehr wieder. Auch sie als Thai hat einen unberechenbaren Ordnungsfimmel. Da befinden sich nach ihrem Putztag womöglich die Schilder schön geordnet an einem Platz und die Stapel woanders. Nee, nee. Das riskiere ich nicht. „Whole Lotta love“ von Led Zeppelin wummert mit seinen Bässen. Da kommen Erinnerungen auf. An die Feten zu Schülerzeiten, wenn die reichen Eltern so mancher Kameraden auf Urlaub waren und wir deren Villa samt Swimming Pool auseinander nahmen, durch alle Schlafzimmer schnakselten (damals noch schüchtern zu zweit), die gesamte Hütte mit THC-Düften verpesteten und das Bier in Strömen floss.
Meine Putzfrau soll sich nur nichts darauf einbilden, dass ich im Zusammenhang mit ihr ans Schnakseln denke. Eine einmal geschnakselte Putzfrau ist nichts mehr wert, wird zur Privilegierten und wechselt sofort ihren Beruf. Mit Saubermachen iss dann nichts mehr. Das musste ich leider mehrmals erfahren. Ihre bisherige konstante Liebe zu ihrem jetzigen Beruf werde ich mir wegen geiler Schülererinnerungen nicht vermasseln. Irgendwann muss man ja mal anfangen, aus Erfahrungen zu lernen. Wer das erst mit der Todeserfahrung macht, hat kaum noch Zeit, daraus zu lernen. Allerdings sind Erfahrungen im Jenseits sowie nichts wert, habe ich mir von einem, der es wissen muss, sagen lassen.
Gedanklich leicht angedröhnt mache ich mich an die Teilung des Stapels. Der nächste Song: „Purple Haze“ von Jimi Hendrix, kann meine systematische Arbeit am Ruhetag des Herrn nicht mehr verwirren. Die Klassenaufsätze im Fach Deutsch hatten wir ja schliesslich auch strukturiert mit Einleitung, Haupteil und Nachgesang trotz einer „Geladenen“ in der grossen Pause hinter uns gebracht. Nun ja, die ein oder andere Klassenarbeit hatte unser Herr Oberstudienrat dann trocken zurückgehen und wiederholen lassen. Die hatten nämlich vor lauter hochtrabender Phantasie seinen geistigen Horizont überfordert. Auch Oberstudienräte sind nur Menschen.
Die unrelevanten Blätter links, die steuerrelevanten rechts. Binäres System. Damit kenne ich mich schon rein beruflich aus und ich bin mal wieder stolz auf mich, dass ich sogar in der Lage bin, berufliche Erfahrungen im Alltag zu meinem Vorteil anzuwenden. Nennt man das Intelligenz? Ich halte das eher für hochbegabt.
Bei „The Zoo“ von den Scorpions schalte ich schliesslich mein Windows Laptop ein, lege die von der Stadt kostenlos verteilte „Easy Tax“ CD rein und bald erscheinen die ersten höflichen Fragen auf dem Bildschirm.
„Möchten sie die aktuellen Aktienkurse laden?“ Ja
„Möchten sie in der Zwischenzeit eventuell geänderte Steuervorschriften laden?“ Ja
„Möchten sie ihre Steuerdatei vom letzten Jahr laden?“ aber Ja doch
Die macht nämlich das Ganze besonders einfach. Man braucht dann fast nur noch die Einkommenszahlen in den schon vorhanden Rubriken ändern und fertig. Wenn keine neuen Vermögensquellen hinzugekommen sind, eine leichte Übung. Gedanklich bedanke ich mich beim Schweizer Finanzamt meiner Stadt, wo die „Easy TAX“ CD seit Februar auslag. Kundenfreundlich nennt man sowas. Überhaupt, das Finanzamt meiner Aufenthaltsstadt ist äusserst Service orientiert. Dort ist man Kunde. Und ich weiss auch, dass ich den Termin 31.3. nicht unbedingt einhalten muss. Aber das ginge gegen meine Ehre. „She’s a Beauty“ von The Tubes warnt mich wie gerufen: „Don’t Fall in Love“. Fehlt mir gerade noch, mich in das städtische Finanzamt trotz aller Zuvorkommenheit zu verlieben.
...aber ja doch hatte ich gerade geantwortet. Leicht dahergesagt. Wo ist diese verdammte Datei nur? Ist ja schliesslich schon ein Jahr her. Wenn ich die nicht mal umgeräumt habe? Dateien in bestimmten Ordnern zwecks Ordnung zu verstecken, ist ein Hobby von mir, während meiner sporadischen Ordnungsanfälle. Und dann sehe ich die erlösende Frage:
„Möchten sie die Datei suchen?“ klar doch
„Auf welchen Laufwerken? Alle? Ja, das wird wohl das Beste sein.
„Suche erfolglos“ ach du schei....
„Smoke on the Water“ von Deep Purple im stetig voranschreitendem iTunes bekommt für mich plötzlich einen anderen Sinn.
Da fällt mein Blick auf ein ausrangiertes USB Kabel in einem meiner CD und DVD Regale. Gut, dass sich meine Putzfrau dessen noch nicht angenommen hat. Glück gehabt. Da war doch noch was? Oh ja, da hing mal eine externe Disk dran. Und wo ist die jetzt? Hab ich wohl in einem Ordnungsanfall irgendwo versteckt. So alle sechs Wochen hasse ich herumliegende Sachen, besonders, wenn die noch nicht mal angeschlossen sind. Oh Mann! Da mir schon einige externe Hard Drives über den Jordan gegangen sind, weiss ich, dass ich sie irgendwo weich gebettet hatte. Im Bett, unter dem Kopfkissen oder auf’m Sofa garantiert nicht. So weich mitfühlend mit Hardware bin ich nu auch wieder nicht. Wo ist das verdammte Ding nur? „Rock of Ages“ von Def Leppard scheint mir was sagen zu wollen. Wenn alte Rockmusik genauso vergesslich ist, wie ich, werde ich wohl doch noch auf „House“, „Dance Floor“ und „Hip Hop“ umsatteln müssen. Das soll ja gedächtnisschulend sein.
Wo gibt es in meiner Wohnung noch was Weiches, was vielleicht auch noch entfernt etwas mit Computern zu tun hat? Das ist im Moment die Frage aller Fragen. Mein Blick fällt auf die Fächer unter meinem Übereck-PC-Tisch. Da liegen die PC-Welt und Mac Magazine fein säuberlich gestapelt, weil ich die nach Erhalt durch die Post sowieso nur auf dem Klo durchblättere und dann fast ungebraucht präzise ablege. Der Anblick des fein säuberlich geordneten Stapels gibt mir das Gefühl, meinen PC und Mac voll im Griff zu haben. Trotzdem erinnert er mich einmal wieder daran, dass ich die PC-Welt abbestellen sollte. Sollte etwa...? Tatsächlich. Einsam und verlassen ruht die kleine Kiste weich gebettet auf den Magazinen. Da soll mal einer sagen, ich mache sowas gedankenlos. Ihr Anblick und „Rock On“ von David Essex versöhnen mich wieder mit der Welt.
Also das Ding ranhängen, den Laufwerkbuchstaben als „M“ identifizieren und noch mal meine „Easy TAX“ suchen lassen. Bingo. Gefunden. Ab jetzt ist alles nur noch eine leichte Übung. Ein paar Zahlen eingetippt und fertig.
„Endgültige Steuerklärung drucken? Yes, Sir.
Und schon fängt mein HP Laserjet leise an zu tuscheln. Die Papiere müssen nur noch händisch abgezeichnet werden. Von „Ich schwöre bei Gott und den Eidgenossen“ ist glücklicherweise nicht die Rede. Da kriege ich sonst immer einen leisen Schauer. Bin nämlich abergläubisch. „Shaking all over“ von Guess Who läuft gerade. Erinnert mich eher an Lord Uli aus Berlin. Die langhaarigen, geschminkten Lords haben mit dem Ding vor langer Zeit ihren Durchbruch als erste Beat Band in Deutschland erlebt. Es war meine allererstes Beat-Konzert, dass ich nach meiner Geburt besucht habe. In der Stadthalle meiner Heimatstadt. Mann, was haben die Jungs abgerockt. Am nächsten Tag habe ich mir eine elektrische Guitarre von meinen Eltern gewünscht. Mit sonem Ding konnte man womöglich alle Weiber aufreissen. War zwar erst 14, aber ich wusste, dass da kommen wird, was kommen musste.
Darüber ist es fast Mitternacht geworden. Bei „Two Minutes to Midnight“ von Iron Maiden bin ich endlich fertig. Am Montag werde ich mich cool zu meinem Finanzamt begeben und mit dem Gefühl eines erfolgreich gemeisterten Sonntags, an dem ich nämlich alles gefunden hatte, was ich brauchte, die Unterlagen bei der freundlichen Schalterdame mit einem lächelnden "Grüezi wohl" auf den Lippen persönlich abgeben.
Gute Nacht.
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